Dieses Tutorial wird nicht mehr gewartet und ist unter dem Titel Urheberrecht - Fischer ./. Frankfurter auf der elmu.online) für die gemeinsame Arbeit freigegeben worden.

Urheberrecht - Fischer ./. Frankfurter

von Ulrich Kaiser

  1. Urheberrecht und Plagiat
  2. Ein Beispiel (der erste Eindruck)
  3. Pro (eine Perspektive der musikalischen Analyse)
  4. Contra (eine andere Perspektive der musikalischen Analyse)

1. Urheberrecht und Plagiat

Ein Auto ist ein Gegenstand, man kann es anfassen, damit fahren und versehentlich den Lack zerkratzen. Gegenstände, die man anfassen kann, haben in der Regel einen Eigentümer. Ein Auto beispielsweise kann dem Hersteller, dem Händler oder auch einer Käuferin gehören. Im juristischen Sinne werden solche Gegenstände zu den materiellen Gütern gezählt (Materie kommt von materia = Stoff).
Das Gegenteil von materiellen Gütern sind die sogenannten immaterielle Güter. Wenn zum Beispiel eine Erfinderin eine geniale Idee hat oder ein Komponist eine unglaublich gute Melodie eingefallen ist, dann sind das immaterielle Güter, also Dinge, die man nicht anfassen kann, obwohl sei einem gehören. Natürlich werden solche Ideen in der Regel auch auf Materie fixiert (also z.B. zuerst im Computer gespeichert und auf Papier ausgedruckt). Das jedoch dient nur dem Nachweis und ändert nichts an der Tatsache, dass Erfindungen und Kompositionen (im juristischen Sinne) immaterielle Güter sind.

Wird ein Auto geklaut und der Dieb gefasst, erhält er eine Strafe. Genauso ist es, wenn jemand die Idee eines anderen geklaut hat und erwischt wird. Geklaute Ideen werden als Plagiate und ein Dieb von geistigem Eigentum als Plagiator bezeichnet. Laut Duden ist ein Plagiat die

unrechtmäßige Aneignung von Gedanken, Ideen [oder Ähnliches] eines anderen auf künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiet und ihre Veröffentlichung.

Duden (abgerufen 5/2021)

Und das Gesetz, dass die immateriellen Güter wie Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst schützt, heißt Urheberrechtsgesetz. Im Urheberrechtsgesetz steht im § 11 geschrieben:

Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Es dient zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes.

Urheberrechtsgesetz (abgerufen 5/2021)

Ein Problem ist allerdings, dass es im immateriellen Bereich oft strittig ist, ob überhaupt etwas geklaut wurde oder ob beispielsweise eine Melodie einer anderen nur unwesentlich ähnlich ist, so dass man sie als eigenständig (und somit nicht als geklaut) ansehen muss.

zurück zum Inhaltsverzeichnis

2. Ein Beispiel (der erste Eindruck)

Im Folgenden kann an zwei bekannten Beispielen die Frage erörtert werden, ob eine Ähnlichkeit als Plagiat oder als eigenständige Schöpfung beurteilt werden sollte. Darüber hinaus lassen sich an diesem Beispiel Probleme des Urheberrechts diskutieren.

Das erste Beispiel stammt aus einem Song, den Helene Fischer gesungen und den Jean Frankfurter (alias Erich Ließmann) komponiert hat. Der Song ist auf dem Album Zaubermond aus dem Jahr 2008 erschienen. Interessant in diesem Song ist vor allen Dingen der Chorus:

Beispiel 1:

Bei dem zweiten Beispiel handelt es sich um den Anfang (bzw. das Intro) des Songs A Whiter Shade Of Pale, mit dem die Band Procul Harum in den 1960er Jahren bekannt geworden ist. Den Text, der heute als rätselhaft und sogar als unverständlich gilt, schrieb Keith Reid. Er bot das Manuskript dem Londoner Musikverlag Essex Music an, der zur Produktion den Musikproduzenten Denny Cordell beauftragte. Komponist wurde Gary Brooker und lange Zeit galt er auch als alleiniger Urheber des Songs, obwohl der Organist Matthew Fisher bereits 1972 behauptete, das Orgelsolo des Intro ganz alleine komponiert zu haben. Eine Klage, die in verschiedenen Instanzen zu verschiedenen Urteilen führte, gab 2009 schließlich Fischer recht und seitdem erhält er als Mitautor 40% der Tantiemen (bzw. der Vergütung für die Aufführung oder Wiedergabe des Songs). In dem folgenden Beispiel hört ihr das berühmte Intro von Fischer:

Beispiel 2:

Aufgabe 1: Vergleicht die beiden Abschnitte nur über das Hören und bestimmt über diesen ersten Höreindruck, ob die Stücke auf euch sehr verschieden wirken (also ob sie künstlerisch eigenständig sind) oder ob sie eine Ähnlichkeit haben (also voneinander abhängig sind).

zurück zum Inhaltsverzeichnis


Pro (eine Perspektive der musikalischen Analyse)

Ein Problem des aktuellen Urheberrechts ist es, dass Melodien in besonderer Weise geschützt sind. Hier können unter Umständen schon kleine Wendungen in einem Song dazu führen, dass man an eine andere, vielleicht sehr berühmte Musik erinnert wird. Und wenn dadurch ein Song aufgewertet wird, dann ist ein Streit vorprogrammiert. Denn wenn einer durch die Melodie eines anderen eventuell mehr verdient, als wenn er die Melodie des anderen nicht verwendet hätte, will der andere natürlich Geld von dem einen haben. Wenn eine Beklagte dem Song Geld verdient und eine Klägerin der Meinung ist, dass ihre Melodie daran einen Anteil hat, dann muss ein Gericht entscheiden, ob das zutreffend ist und anschließend gegebenenfalls festlegen, welche finanziellen Konsequenzen das hat.

Hört euch nun als nächstes die Songabschnitte in einem direkten Vergleich an. Dazu hört ihr den Song von Helene Fischer im linken Lautsprecher und das Intro von A Whiter Shade of Pale im rechten. In der Notenabbildung könnt ihr den Notentext mitlesen:

Soundmix Abbildung 1 Soundmix Abbildung 2 Soundmix Abbildung 3 Soundmix Abbildung 4

Die größte Auffälligkeit zwischen den Melodien bestehen in:

  • den lang ausgehaltenen Melodietönen als Terz eines Dur-Akkords in den Takten 1 und 9,
  • in den identischen Melodiewendung in T. 3−4 und T. 11−12,
  • in den identischen Tönhöhen des Gerüstsatzes der Melodie bzw. auf den ersten Taktzählzeit der Takte 1, 2, 3, 4, 5, 6 sowie 9, 10, 11, 12, 13 und 14.

Darüber hinaus ist das Harmonieschema vollkommen identisch. Die Harmonik lässt sich verstehen als eine Akkordfolge über zwei Tonleiterbewegungen (regola dell'ottava) im Bass: c-h-a-g-f-e-d und g-f-e-d-c. Diese beiden Tonleiterbewegungen sind durch einen Quintfall (d-g) verbunden. Während die regola dell'attava als ein klassisches Harmonisierungsmodell angesehen werden muss, sind die Harmonisierungen Quartsextakkord e-Moll (T. 1,3), Quartsextakkord C-Dur (T. 3,1) sowie e-Moll (T. 6,1), die Dehnung des d-Moll im 4. Takt und dadurch das Verschieben der Dominante auf die schwere Zeit des 5. Taktes pop-typisch und für barocke Musik ungewöhnlich. Die Bassstimmen in den Kompositionen unterscheiden sich darin, dass

  • Fischer sich am Modell der Tonleiter im Bass orientiert, während
  • Frankfurter einen Bass wählt, der für das chromatisierte Parallelismus-Modell charakteristisch ist (vgl. hierzu den Bass im Verse von New York State of Mine von Billy Joel).

Aufgrund des Basses hat die Ausarbeitung von Matthew Fischer eine größere Nähe zur Barockmusik als die Gestaltung von Jean Franfurter.

Aufgabe 2:
1.) Analysiert mithilfe des Notentextes, wieviele Noten im Vergleich der Melodien von Frankfurter und Fischer identisch sind. Gebt abschließend in Prozent an, wieviele Noten übereistimmen.
2.) Bestimmt, ob wichtige Noten übereistimmen oder ob nur Verzierungen oder Nebennoten in den Melodien gleich sind.
3.) Untersucht, ob nur einzelne Noten gleich sind oder ab es auch Tongruppen gibt, die identisch sind. Wie viele Töne umfasst die größte Tongruppe, die ihr in beiden Songs finden könnt?
4.) Das Harmoniemodell ist inn beiden Songs gleich. Recherchiert, ob es erlaubt oder verboten ist, die Harmoniefolge eines berühmten Songs exakt zu übernehmen. 5.) Falls ihr den Bassschlüssel lesen könnt: Untersucht, inwiefern die Bassstimmen in den beiden Songs gleich sind.

Aufgabe 3:
Verfasst eine Anklageschrift, in der ihr die Behauptung, dass Jean Frankfurter die Melodie von Matthew Fischer plagiiert hat, begründet und gebt darin an, wieviel Prozent der Tantiemen ihr von der Beklagten (also Jean Frankfurter) haben wollt. Auch diese Zahl müsst ihr natürlich inhaltlich begründen.

zurück zum Inhaltsverzeichnis


Contra (eine andere Perspektive der musikalischen Analyse)

Bei beiden Musikstücken handelt es sich um tonale Musik. Wenn eine Musik tonal klingt, heißt das, wir können einen Grundton hören, der Außenstimmensatz (Melodie und Bass) hat eine besondere klangliche Bedeutung, es gibt standardisierte Harmoniewendungen und Kadenzen usw. Ein besonderes Merkmal tonaler Musik ist ein imperfizierter Außenstimmensatz, was soviel bedeutet, dass es ein ganz allgemeines Klangprinzip zwischen Melodie und Bass, wenn dort die Intervalle Terz und Sexte erklingen. Das folgende Notenbeispiel zeigt die identischen Basstöne der beiden Songs und zu diesen Tönen jeweils die Terz (in der Lage der Melodie):

Außenstimmensatz

Matthew Fischer hat in seinen Gerichtsverfahren selbst behauptet, dass er durch Bach zu seiner berühmten Intro inspiriert worden sei. Genauer gesagt, durch den Anfang der Air der Orchestersuite Nr. 3 in D-Dur BWV 1068. DAs folgende Notenbeispiel zeigt den Anfang des Stücks:

J.S. Bach, Air aus BWV 1068 J.S. Bach, Air aus BWV 1068

Aufgabe 4:
1.) Untersucht, welche Intervalle auf den schweren Taktzeiten in der Air von Bach erklingen, also in dem Stück, dass Fischer selbst als Quelle der Inspiration für seine Musik angegeben hat. Beim Berühren der Abbildung oben werden diese Stellen grün markiert.
2.) Untersucht auch die Intervalle zwischen den markierten Bassnoten und vergleicht diese mit der Struktur des Basses in den Songs von Frankfurter und Fischer.

Aufgabe 5:
Reagiert auf die Anklage, indem ihr die Anzahl der angeblich plagiierten Töne reduziert, indem ihr die Stellen, in denen Terzen zwischen Melodie und Bass erklingen abzieht. Denn zu dieser Klangtechnik wurde Fischer ja nach eigener Aussage durch Bach inspiriert. Die Musik von Bach jedoch − und damit auch die Klangtechnik des imperfizierten Außenstimmensatzes − ist nicht geschützt, sondern Public Domain und darf deswegen frei verwendet werden.

Aufgabe 6:
Verfasst eine Verteidigungsschrift, in der ihr die Argumente der Klägerin entwertet und argumentiert dafür, warum der song von Frankfurter kein Plagiat darstellt und als künstlerisch eigenständig angesehen werden muss. Ihr könnt eure Argumentation dabei auch auf euren Höreindruck im Vergleich der beiden Songs stützen.

zurück zum Inhaltsverzeichnis