Die Überleitung

von Ulrich Kaiser

  1. Definitionen
  2. Beispiele
  3. Generalisierung: das Modell »4−1 ›fa−ut‹
  4. Beispiele
  5. Aufwärtsführende Strukturen
  6. Die Überleitung als Unisono
  7. Literatur

Definitionen

Mit dem Begriff Überleitung wird eine bestimmte Formfunktion in Sonatensätzen bezeichnet. Das folgende Diagramm gibt eine Übersicht über die Formfunktionen einer Sonatenhauptsatzform:

Die Überleitung hat die Funktion einer zweiten Taktgruppe im Rahmen der Sonatenhauptsatzform, sie kann modulierend (= gelb) oder nicht modulierend (= grün) sein. Von außen − also extrinsisch − bezeichnet der Begriff ›Überleitung‹ den Abschnitt zwischen Haupstatz und Seitensatz bzw. zwischen Hauptsatz und einer Schlussgruppe. Indizien zur Bestimmung einer Überleitung über musikalische Eigenschaften − also für eine intrinsische Bestimmung − sind:

  • Anfang nach einem Ganzschluss der Ausgangstonart,
  • motivisch ein Wiederaufgreifen des Hauptsatzes oder des Themas,
  • eine über das 4–1 ›fa–ut‹-Modell referenzierbare Harmonik,
  • ein ›rauschender‹ Charakter oder
  • ein Halbschluss in der Haupttonart (nicht-modulierend) oder der Nebentonart (modulierend) am Ende.

Da die Überleitung in der Reprise wegen unterschiedlichen tonartlichen Verhältnisse ín der Reprise nicht selten stark von der Gestaltung in der Exposition abweicht, beschränkt sich dieses Tutorial auf einige Überleitungstypen in Expositionen.

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Beispiele

Wolfgang Amadé Mozart, Sonate in C-Dur KV 14, Kopfsatz

Das erste Beispiel zeigt den Beginn der Klavier-Violinsonate KV 14, die Wolfgang Amadé Mozart mit acht Jahren in London komponiert hat. Beachten wir die oben gegebenen Indizien a−e, fällt ein Ganzschluss in der Ausgangstonart C-Dur (a) in T. 10 (= rot beim Berühren der Abbildung) sowie ein Halbschluss in der Nebentonart G-Dur bzw. ein D-Dur-Akkord als Halbschluss (e) in T. 14 auf. Über diese Eigenschaften können die Takte 11−14 als Überleitung sicher bestimmt werden (= grün):

Abbildung Abbildung

Quelle: YouTube.

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Wolfgang Amadé Mozart, Sonate in B-Dur KV 31, Kopfsatz

Das zweite Beispiel zeigt den Beginn der Klavier-Violinsonate KV 31, die Wolfgang Amadé Mozart in London im gleichen Jahr wie die Sonate KV 14 komponiert hat. Auf der Grundlage der oben angegebenen Indizien a−e lässt sich in dieser Sonate ein Ganzschluss in der Ausgangstonart B-Dur (a) in T. 10, seine Wiederholung in T. 13 (= rot) sowie ein Halbschluss in der Nebentonart F-Dur bzw. ein C-Dur-Akkord als Halbschluss (e) in T. 21 entdecken. Über diese Eigenschaften kann auch in diesem Fall die Überleitung sicher bestimment werden (Takte 15−121 = grün):

Abbildung Abbildung

Quelle: YouTube.

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Wolfgang Amadé Mozart, Sonate in B-Dur KV 281 (189f), Kopfsatz

Das dritte Beispiel zeigt den Beginn der Klaviersonate KV 281 (189f), die Wolfgang Amadé Mozart 1775 in München komponiert hat. Nach den oben angegebenen Indizien a−e beginnt die Überleitung in dieser Sonate nach dem ein Ganzschluss in der Ausgangstonart B-Dur (a) in T. 8 als Abschluss der Periode in der Formfunktion Hauptsatz. Sie endet mit einem Halbschluss in der Ausgangstonart B-Dur bzw. ein F-Dur-Akkord als Halbschluss (e) in T. 17 (Überleitung = Takte 9−17 = grün):

Abbildung Abbildung

Quelle: YouTube.

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Generalisierung: das Modell »4−1 ›fa−ut‹

Im Folgenden sehen Sie die drei oben erörterten Überleitungen aus KV 14, KV 31 und KV 281 (189f) in einer synoptischen Notenabbildung (Generalbassnotation), wobei jeweils eine Harmonie in einem Takte platziert worden ist. Das heißt, die Anzahl der Takte in der Notenabbildung unten entspricht nicht der Anzahl der entsprechenden Takte in der Partitur. Der in Achteln verlaufende harmonische Rhythmus in den Takten 20/21 der Sonate KV 31 zum Beispiel wird in der Abbildung unten in vier Takten wiedergegeben (mit den Harmonien F-Dur, g-Moll, halbverm. Septakkord über h und C-Dur):

Abbildung Abbildung

Der Vergleich zeigt sehr interessante Übereinstimmungen:

  • Die ersten vier Harmonien in den Überleitungen aus KV 14, KV 31 und KV 281 (189f) zeigen eine − vom Anfangsakkord aus bestimmte − I-V-II#-V-Harmonik (also in C-Dur die Harmoniefolge C-Dur | G-Dur | D-Dur | G-Dur), wobei Harmoniewechsel wiederholt werden können. Diese Harmoniefolge bewirkt einen musikalischen Baustein, der von einer Ausgangstonart in die Oberquinte führt. In den Sonaten KV 14 und KV 31 wirkt die Harmoniefolge der Überleitung modulierend, weil Mozart hier die I. Stufe bzw. Ausgangstonart mit der V. Stufe bzw. Nebentonart verbindet (I -> V). In der Sonate KV 281 (189f) hingegen bewirkt diegleiche Harmoniefolge nicht-modulierend, weil Mozart in dieser Komposition die IV. Stufe bzw. Subdominante mit der I. Stufe bzw. Ausgangstonart verbindet (IV -> I).
  • Den ersten vier Harmonien schließt sich ein Halbschluss an (entweder in der Ausgangstonart wie in KV 281
  • oder der Nebentonart wie in KV 14 oder KV 31). Die Beispiele zeigen zwei Möglichkeiten, diesen Halbschluss herbeizuführen:
    1. Der Halbschluss wird durch eine auf metrisch schwere Zeit gesetzte Dominante erzielt (KV 14) oder
    2. der Halbschluss wird harmonisch über eine Subdominante und/oder Doppeldominante angesteuert (KV 31 und KV 281). Liegt der Leitton der Doppeldominante dabei im Bass, wird auch von einem diskantisierendem Halbschluss gesprochen.

Die Hamroniefolge I -> V bzw. IV -> I über stufenweise fallendem Bass dürfte allen Musikern des ausgehenden 18. Jahrhunderts über die Generalbassdidaktik dieses Jahrhunderts bzw. über das Spiel der Oktavregel (Regola dell'ottava) bekannt gewesen sein:

Abbildung Abbildung

Die Vermutung liegt nahe, dass von Musikern im 18. Jahrhundert über die Oktavregel einerseits die grundlegende Harmonisierung von Basstufen und andererseits die Modulation in die Oberquinte geübt worden ist. Denn durch die 6#-Harmonisierung der sechsten Tonleiterstufe abwärts findet sich in der C-Dur-Oktavregel ein Ausschnitt aus der Oktavregel in G-Dur oder anders ausgedrückt: Die Harmonisierung der Bassstufen 8-7-6-5 der Oktavregel in C-Dur abwärts (mit der Harmonisierung 6#) ist identisch mit der Harmonisierung der Bassstufen 4-3-2-1 der Oktavregel in G-Dur.
Im Folgenden wird daher die Harmonisierung der Oktavregel 8-7-6-5 in C-Dur als ein 4-3-2-1-Ausschnitt der Oktavregel in G-Dur interpretiert. Daraus folgt:

  • die ersten vier Harmonien der Überleitung der Sonate in B-Dur KV 281 (189f) bzw. Es-Dur / B-Dur / F-Dur / B-Dur entsprechen der Oktavregel-Harmonisierung der Basstufen 4-3-2-1 in B-Dur (= nicht-modulierende Überleitung),
  • die ersten vier Harmonien der Überleitung der Sonate in B-Dur KV 31 bzw. B-Dur / F-Dur / C-Dur / F-Dur entsprechen der Oktavregel-Harmonisierung der Basstufen 4-3-2-1 in F-Dur (= modulierende Überleitung) und
  • die ersten vier Harmonien der Überleitung der Sonate in C-Dur KV 14 bzw. C-Dur / G-Dur / D-Dur / G-Dur entsprechen der Oktavregel-Harmonisierung der Basstufen 4-3-2-1 in G-Dur (= modulierende Überleitung).

Die Beispiele zeigen, dass sich die Standardharmonisierung einer modulierenden Überleitung mithilfe der Oktavregel der Nebentonart, die Standardharmonisierung einer nicht-modulierenden Überleitung mithilfe der Oktavregel der Ausgangstonart beschreiben lässt.
Die oben beschriebenen Harmoniefolgen lassen sich auf vier Töne der Oktavregel mit der Struktur ›fa−ut‹ zurückführen. Die generalisierte Struktur, die im folgenden als Modell 4−1 (fa−ut) bezeichnet wird, besteht also aus einer Tonleiterstruktur (wie zum Beispiel den Tönen c-h-a-g) und eine Harmonik, die sich durch dieses Modell referenzieren lässt (zum Beispie die Akkorde C-Dur / G-Dur / D-Dur / G-Dur).

Abbildung Abbildung

Modell 4−1 (fa−ut) zur Bestimmung von Harmonieverläufen in Überleitungen

Beispiele

Die beiden folgenden Beispiele sollen den Sachverhalt noch einmal verdeutlichen. Als charakteristische Überleitungsharmonik erklingt in beiden Beispielen die Harmoniefolge C-Dur (= grau) / G-Dur (= orange) / D-Dur (= rot) / G-Dur (= orange). Im ersten Beispiel der Violinsoante von Mozart erklingt diese Harmoniefolge in einem Werk in C-Dur, wodurch die Überleitungsharmonik modulierende wirkt, im zweiten Beispiel der Klaviersonate von Joseph Haydn erklingt die Harmoniefolge in G-Dur, wodurch die Überleitung nicht-modulierend wirkt. In beiden Fällen folgt der Harmoniefolge ein diskantisierender Halbschluss (= grün), im Fall der Volinsonate in C-Dur erklingt D-Dur als Halbschluss in der Nebentonart (= 3. Absatz nach H. Chr. Koch), im Falle der G-Dur-Sonate erklingt das D-Dur als Halrbschluss der Ausgangstonart (= 2. Absatz nach H. Chr. Koch).

Wolfgang Amadé Mozart, Violinsonate in C-Dur KV 296, 3. Satz

Anmerkungen: Die modulierende Überleitung (= grüne Klammern) lässt sich klar bestimmen: Sie folgt einem periodischen Hauptthema bzw. einem Ganzschluss der Ausgangstonart (a), sie endet mit einem Halbschluss der Nebentonart (e) und die Harmonik lässt sich über das Modell 4−1 (fa−ut) referenzieren (c-h-a-g = C-Dur/G-Dur/D-Dur/G-Dur).

Abbildung Abbildung

Quelle: YouTube.

Anmerkungen: Die nicht-modulierende Überleitung (= grüne Klammern) lässt sich klar bestimmen: Sie folgt einem nicht-periodischen Hauptsatz bzw. einem deutlichen Absatz (Kadenz) in der der Ausgangstonart (a), sie endet mit einem Halbschluss der Ausgangstonart (e) und die Harmonik lässt sich über das Modell 4−1 (fa−ut) referenzieren (c-h-a-g = C-Dur/G-Dur/D-Dur/G-Dur).

Abbildung Abbildung

Quelle: YouTube.

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Aufwärtsführende Strukturen

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Die Überleitung als Unisono

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Literatur