Reprise (Formfunktion der Sonatenform)
Inhalt
- Definitionen
- Die Reprise als großes Ereignis
- Die Reprise in den Seitensatz (Binary form)
- Reprise in den Modulationsabschnitt und in die Schlussgestaltung der Exposition
Definitionen
Der Reprise-Begriff ist mehrdeutig, er wird heute verwendet
- für eine Formfunktion im Rahmen der Sonatenform (bzw. Sonatenhauptsatzform),
- für den Beginn des zweiten Teils (in der Nebentonart) eines zweiteiligen Suiten-Satzes und
- als veränderte Reprisen (Berlin 1760) in Bezug auf C. Ph. E. Bachs ausgeschriebene Variationen eines bereits erklungenen Satzteils einer Sonate (in der Regel der Exposition).
Dieses Tutorial erläutert den Begriff in der zuerst genannten Bedeutung bzw. Reprise als Formfunktion im Rahmen der Sonatenform. Diese Verwendungsweise des Begriffs lässt sich wie folgt definieren:
Reprise [frz. »Wiederaufnahme«, »Wiederholung«; ital. ripresa], die mehr oder minder getreue Wiederkehr eines Satzteils innerhalb einer Komposition.
BRM Bd. 4, S. 33
Für das hier dargelegte Verständnis ist es darüber hinaus entscheidend, dass »die mehr oder minder getreue Wiederkehr eines Satzteils« in der Ausgangstonart erfolgt (andernfalls ließe die Definition auch den zweiten oben genannten Fall zu). Wie allerdings die Reprise in einer Komposition gestaltet wird, kann höchst unterschiedlich ausfallen: Sie kann als großes Ereignis und Wiederaufnahme des Sonatenbeginns inszeniert werden, sie kann mit der Formfunktion Seitensatz oder aber auch ganz unscheinbar mit einer beliebigen Stelle aus der Exposition einsetzen. Das folgende Tutorial veranschaulicht verschiedene Möglichkeiten der Reprisengestaltung.
Die Reprise als großes Ereignis
Beginnen wir mit einem Reprisen-Beispiel, in dem W. A. Mozart die Wiederkehr des Hauptsatz in der Grundtonart als großes Ereignis inszeniert hat. Im Kopfsatz des Klavierkonzerts in d-Moll KV 466 beginnt die Durchführung in der Nebentonart F-Dur. Von hier aus wird über g-Moll ein Es-Dur erreicht, das sich in Bezug auf die Ausgangstonart als neapolitanische Region bezeichnen lässt. Von Es-Dur aus startet Mozart eine Aufwärtssequenz, die über f-Moll und g-Moll nach A-Dur führt, wobei die Gestaltung als Orgelpunkt sowie ein übermäßiger Quintsextakkord dieses A-Dur als Dominante ausweisen. Der Orgelpunkt mündet in eine Pause, von wo aus ein effektvoller Bassgang die Reprise herbeiführt. Das folgende Video veranschaulicht den beschriebenen Verlauf unter Hervorhebung der Sequenzstruktur:
Hören Sie nachfolgend denselben Abschnitt noch einmal als Hörbeispiel und ohne Verstärkung der Sequenzstruktur an:
W. A. Mozart, Klavierkonzert in d-Moll KV 466, Svjatoslav Richter (Klavier), Sinfonie-Orchester der Nationalen Philharmonie Warschau, Witold Rowicki (Leitung), Deutsche Grammophon LPM 18595, (P) 1960 − Urheberrecht: CC0 Public Domain
Bei Mozart war die Steigerung der Spannung bis zum Einsatz der Reprise deutlich wahrnehmbar, nicht zu überhören ist diese hingegen im 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms Op. 15. Verantwortlich hierfür ist nicht nur das Zusammenwirken von Rhythmik und Harmonik nach dem Eintritt der lang anhaltenden Rückführungsdominante, sondern auch die Gestaltung der Melodie, die erst über das chromatische Tetrachord d-cis-c-h-b-a und anschließend über einen diatonischen Stufengang a-g-f-e das d bzw. die Tonika bzw. den Eintritt der Reprise zu erzwingen scheint:
Hören Sie sich auch diesen Abschnitt noch einmal als Audio-Beispiel und ohne Verstärkung der Rückführungsdominante an:
J. Brahms, Klavierkonzert in d-Moll Op. 15, Klavier: Wilhelm Kempff, Sächsische Staatskapelle Dresden, Leitung: Franz Konwitschny, Deutsche Grammophon LPM 18376, (P) 1961 − Urheberrecht: CC0 Public Domain
Mediantische Übergänge
In der Regel werden auch Repisenübergänge als Ereignis inszeniert, die kein dominantisches Verhältnis zwischen Rückführungsorgelpunkt und Repriseneintritt prägt. Häufig findet sich hier auch ein mediantisches Verhältnis zwischen der Rückführungsdominante und dem Repriseneintritt wie zum Beispiel in der Klaviersonate in F-Dur KV 280 (189f):
ab T. 75, ohne Zwischenakkorde (oben)
ab T. 72 mit Zwischenakkorden (unten)
Wolfgang Amadé Mozart, Sonate für Klavier in F-Dur KV 280 (189e), Piano: Walter Gieseking in: Mozart – The Complete Music For Piano Solo, Vol.1 Seraphim Records IC-6047, Vinyl (Mono), (P) 1955 − Urheberrecht: CC0 Public Domain
Solche Reprisenübergänge finden sich nicht selten in Werken insbesondere in F-Dur, B-Dur und C-Dur, zum Beispiel:
- W. A. Mozart, Sonate in F-Dur KV 280 (189e), 3. Satz, T. 105−108,
- W. A. Mozart, Sonate in B-Dur KV 281 (189f), 3. Satz, T. 69−73,
- W. A. Mozart, Sonate in F-Dur KV 332 (300k), 1. Satz, T. 125−135,
- W. A. Mozart, Sonate in B-Dur KV 333 (315c), 1. Satz, T. 85−94,
- W. A. Mozart, Klavierkonzert in F-Dur KV 459, 1. Satz, T. 235−248,
- W. A. Mozart, Klavierkonzert in B-Dur KV 595, 1. Satz, T. 231−243 u.v.a.
Die Reprise in den Seitensatz (Binary form)
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Reprisen in den Seitensatz als unvollständige Reprisen bezeichnet werden, was aus semantischer Sicht nicht sinnvoll ist, da solchen Reprisen nichts fehlt, was auf eine Unvollständigkeit hinweisen würde. Unvollständig sind sie nur aus der Perspektive eines Modells, das in der Reprise die Exposition mehr oder weniger vollständig wiederholt und das die Reprise mit dem Einsetzen des Hauptsatzes verbindet. Insbesondere aus historischer Perspektive empfiehlt es sich, die Reprise in den Seitensatz als ein eigenständiges Modell aufzufassen und entsprechende Kompositionen als vollständig zu interpretieren. In den Klaviersonaten mit Reprise von Domenico Scarlatti beispielsweise findet in weit mehr als 50% die Reprise in den Seitensatz statt und in einer Untersuchung zu französischen Sinfonien und Sinfonien der sog. Mannheimer Schule käme man sicherlich zu einem vergleichbaren Befund. Zudem ermöglicht es das mit dem Seitensatz beginnende Reprisen-Modell, entsprechende Werke als zweiteilige Form mit einer Nähe zur Suitensatzform zu verstehen (im anglo-amerikanischen Raum hat sich für entsprechende Kompositionen der Begriff Binary form etabliert).
In der zweiteiligen Form (Binary form) begegnet uns auf der Ebene eines ganzen Satzes ein harmonischer Chiasmus und ein motivischer Parallelismus (auf der Ebene einer Taktgruppe findet sich dieses Modell bei Anfangsgestaltungen, die sich über das I-x-V-I-Schema verstehen lassen). Das Modell lässt sich wie folgt veranschaulichen, beim Berühren der Abbildung werden die namens gebenden Symbole sichtbar:
Das Modell veranschaulicht gut die harmonische und motivisch-thematische Disposition in Werken wie beispielsweise dem ersten Satz der ersten Sinfonie in Es-Dur KV 16 von Wolfgang Amadé Mozart:
Wolfgang Amadeus Mozart, Sinfonie Nr. 1 Es-Dur KV 16, Netherlands Philharmonic Orchestra, Dirigent: Otto Ackermann, Concert Hall Society – CHS 1165, (P) 1952/1953 − Urheberrecht: CC0 Public Domain
Die Abbildung zeigt Anfang und Ende des ersten Teils des Kopfsatzes der Sinfonie KV 16 auf der rechten und Anfang und Ende des zweiten Teils auf der Linken Seite. Beide Teile entsprechen sich ungefähr in Bezug auf die Ausdehnung bzw. Länge (1. Teil = 54 Takte, 2. Teil = 66). Beim Berühren der Abbildung werden die tonikalen Flächen der Ausschnitte grün gefärbt, die dominantischen rot, wodurch der harmonische Chiasmus anschaulich wird (Chiasmus: grün-rot / rot-grün). Motivisch-thematisch hingegen entsprechen sich jeweils die Anfänge und Schlüsse der beiden Teile (Parallelismus = Motiv 1-Motiv 2 / Motiv 1-Motiv 2).
Die nächste Abbildung veranschaulicht, wie sich die Formfunktionen Exposition, Durchführung und Reprise in einer zweiteiligen Sonatenform (Binary form) verteilen (oben), darunter sind die Formfunktionen in der dreiteiligen Sonatenform (Ternary form) zu sehen:
In der Zweiteiligen Sonatenform ist es nun häufig anzutreffen, dass die Reprise mit dem Seitensatz beginnt. Das folgende Beispiel zeigt den Seitensatz des Kopfsatzes der Sinfonie in Es-Dur im ersten Teil in der Nebentonart (= rot) und im zweiten Teil als Reprise in der Haupttonart (= grün):
Hören sie sich abschließend den Sinfoniesatz als Ganzes an (die Noten finden Sie Digitalen Mozart Edition):
Wolfgang Amadeus Mozart, Sinfonie Nr. 1 Es-Dur KV 16, Netherlands Philharmonic Orchestra, Dirigent: Otto Ackermann, Concert Hall Society – CHS 1165, (P) 1952/1953 − Urheberrecht: CC0 Public Domain, Quelle: cc0.oer-musik.de
Eine Besonderheit der Reprisengestaltung ist im Zusammenhang mit Mannheimer Sinfonien bekannt geworden. In diesen Fällen erfolgt der Eintritt der Reprise wie beschrieben mit dem Seitensatz, allerdings wird vor dem Ende der Sonate der Hauptsatz noch einmal aufgegriffen, so dass man von einem dreiteiligen Sonatenmodell mit vertauschten Formfunktionen Haupt- und Seitensatz in der Reprise sprechen kann (beim Berühren der Abbildung wird das herkömmlich dreiteilige Sonatenmodell zum Vergleich eingeblendet):
Eine solche Reprise hat Mozart in der Klaviersonate in D-Dur KV 311 (284c) komponiert, wobei es wahrscheinlich ist, dass er durch die Mannheimer Sinfonik inspiriert worden ist (denn komponiert hat Mozart diese Sonate 1770 in Mannheim).
Wolfgang Amadeus Mozart, Sonate für Klavier in D-Dur KV 311 (284c), Klavier: Walter Gieseking, aus: Mozart – The Complete Music For Piano Solo, Vol.2, Seraphim Records ID-6048, (P)1955 − Urheberrecht: CC0 Public Domain, Quelle: cc0.oer-musik.de
Hören Sie sich abschließend den Kopfsatz der Sonate für Klavier KV 311 (284c) noch einmal als Ganzes an, den Notentext finden Sie in der Digitalen Mozart Edition.
Quelle: YouTube.
Reprise in den Modulationsabschnitt und in die Schlussgestaltung der Exposition
Eine weitere Form der Reprise lässt sich Kompositionen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entnehmen, z.B. der Invention in F-Dur BWV 779 von J. S. Bach:
Bach gestaltet den Schluss seiner Invention auf eine sehr ökonomische Weise, denn er transponiert den Modulationsabschnitt vom Anfang (T. 4−12) in die Unterquinte. Da diese Taktgruppe von der I. Stufe zur V. Stufe geführt hat, moduliert die Transposition dieser Taktgruppe am Ende der Invention von der IV. Stufe zurück zur I. Stufe. Der Verlauf der Invention lässt sich schematisch wie folgt darstellen:
Überträgt man dieses Formmodell auf die Sonatenform, ergibt sich daraus, dass eine Reprise nach dem Thema bzw. mit dem Beginn der Überleitung einsetzen kann und solche Gestaltungen lassen sich in den frühen Werken Mozarts auch nachweisen. Darüber hinaus findet man gelegentlich Reprisen, die erst mit der Schlusskadenz der Exposition beginnen. Beide Verfahren jedoch sind − gemessen an den Reprisen in den Haupt- oder Seitensatz − in Kompositionen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgesprochen selten und werden deshalb an dieser Stelle nicht weiter besprochen.
Erstellung des Beitrags: 1. Juni 2019
Letzte Änderung des Beitrags am 2. Juni 2019