Dieses Tutorial wird nicht mehr gewartet und ist unter dem Titel Kanon-Modelle auf der Open Music Academy für die gemeinsame Arbeit freigegeben worden.

Kanonmodelle als Struktur

von Ulrich Kaiser


Vorbemerkungen

Es gibt einige Strukturen in der Musik, die herausragend für das Komponieren von Kanons mit mehr als zwei Stimmen eignen. Obwohl diese Strukturen sehr einfach sind, haben viele Komponisten diese verwendet, um mehrstimmige polyphone Musik bzw. Abschnitte zu komponieren. Zwei dieser Kanons bestehen aus einer Stimme, in der einem Terzschritt ein Sekundschritt in Gegenbewegung folgt, eine weitere Struktur aus einer Terzkette ab- oder aufwärts.

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Das Terz-Sekund-Modell abwärts

In der folgenden Abbildung ist eine Stimme zusehen, in der das Terz-Sekund-Modell abwärts führt:

Abbildung Melodiestruktur 1

Für den Einsatz einer zweiten Stimme im Abstand einer Note bietet sich die Unterquinte an, so dass ein Unterquintkanon entsteht:

Abbildung Unterquintkanon

Dieser zweistimmige Kanon lässt sich zur Vierstimmigkeit erweitern. Die dritte Stimme bildet dabei Unterterzen zur ersten, die vierte Stimme Unterterzen zur zweiten Stimme. Beim Berühren der Abbildung erkennen Sie die in Terzen geführten Stimmen an der gleichen Farbe (rot/grün):

Abbildung Abbildung

Harmonisch lässt sich das Modell als Quintfallsequenz (bzw. als sekundweise fallender Quintfall) interpretieren

Abbildung Unterquintkanon

Das folgende Beispiel zeigt eine Fuge im Rahmen der Schlusssatzes der Sinfonie Nr. 3 in G-Dur Hob. I:3 von Joseph Haydn. Der Satz beginnt mit einer Exposition, in der das Thema fünfmal erklingt (auf den letzten Einsatz im Sopran wurde aus Platzgründen verzichtet). In der zweiten Violine erklingt zudem ein Kontrapunkt, der beibehalten und über wie unter dem Thema erklingt (= doppelter Kontrapunkt der Oktave). Vergleich man das Thema mit dem Modellsatz oben, beginnt es an der Struktur gemessen mit der zweiten Note bzw. dem Sekundschritt aufwärts (melodisch ist es in den letzten vier Takten der Beispiel transponiert in der Oberstimme zu sehen).

Abbildung Unterquintkanon

Quelle: YouTube.

Indem Haydn als Thema für diesen Fugensatz die modellhafte Struktur wählt, ermöglicht es ihm eine Engführung. Diese erklingt in den Takten 89 ff.:

Abbildung Abbildung

Quelle: YouTube.

Den Einsätzen in den Violinen folgen Einsätze in den Bratschen und Celli. Für den Einsatz dieser Stimmen wählt Haydn allerdings einen Einsatzabstand von zwei Takten. Führt man die Strukturen der Themeneinsätze weiter, fällt auf, dass die Einsätze drei und vier wie im Modell gezeigt in Terzparallelen zu den Einsätzen ein und zwei verlaufen (beim Berühren der Abbildung sind die zusammengehörigen Stellen mit gleicher Farbe markiert)

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Das Terz-Sekund-Modell aufwärts

In der folgenden Abbildung ist eine Stimme zusehen, in der das Terz-Sekund-Modell aufwärts führt:

Abbildung Melodiestruktur 1

Für den Einsatz einer zweiten Stimme im Abstand einer Note bietet sich die Unterquarte an, so dass ein Unterquartkanon entsteht:

Abbildung Melodiestruktur 1

Dieser zweistimmige Kanon lässt sich zur Vierstimmigkeit erweitern. Die dritte Stimme bildet dabei wieder Unterterzen zur ersten, die vierte Stimme Unterterzen zur zweiten Stimme (jeweils gleiche Farbe rot/Grün).

Abbildung Abbildung

Harmonisch gesehen entsteht durch diese Kanonstruktur eine Quintanstiegssequenz:

Abbildung Melodiestruktur 1

Das folgende Beispiel zeigt einen vierstimmigen Kanon mit der im Vorangegangenen erläuterten Struktur im zweiten Satz der Motette »Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen« Op. 74, Nr. 1 von Johannes Brahms. Brahms ›versteckt‹ die Kanonstruktur durch ein Motiv, das auf den Einsatztönen f, c, b und f beginnt. Mit den Tonwiederholungen nach dem achten Ton der jeweiligen Kanonstimme verlässt Brahms das Schema:

Abbildung Abbildung

Quelle: YouTube.

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Terzenketten

In der folgenden Abbildung ist eine melodische Struktur zu sehen, die ausschließlich in Terzen fällt:

Abbildung Melodiestruktur 1

Diese Struktur lässt sowohl einen Unterquintkanon zu...

Abbildung Melodiestruktur 1

...als auch einen Einklangskanon:

Abbildung Melodiestruktur 1

Brahms gestaltet den Hauptsatz des Kopfsatzes seiner vierten Sinfonie in e-Moll Op. 98 mithilfe dieser Struktur, indem er zwei Terzfälle melodisch zu Sextintervallen umwandelt:

Abbildung Melodiestruktur 1

Im Folgenden ist der Anfang der Sinfonie zu sehen, beim Berühren der Abbildungen werden die thematische Struktur sowie Unterquint- und Einklangskanon zum Beginn der Überleitung rot eingefärbt:

Abbildung Abbildung

Der Notentext oben zeigt auch (beim Berühren der Abbildung = grün), dass Brahms die Struktur der Terzenkette aufwärts einsetzt, die sich als Spiegelung verstehen und sich in vergleichbarer Weise zur Kanonbildung einsetzen lässt:

Abbildung Melodiestruktur 1

In zeitlicher Nähe zur Ausarbeitung seiner ›Missa canonica‹ WoO 18 (1857) arbeitete Brahms im Selbststudium an der Verbesserung seiner technischen Fähigkeiten. Ein Jahr zuvor kopierte er sich Juni 1856 die Noten der ›Missa Pape Marcelli‹ von G. P. da Palestrina für seine Studien. Dem Beginn des Kyries konnte Brahms sich dabei jene Technik entnehmen, die er in seiner ›Missa canonica‹ ausgiebig einsetze und seither in vielen Kompositionen verwendete:

Abbildung Abbildung

Quelle: YouTube.

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Terzen und Quarte in Gegenbewegung

Auch diese Kanonstruktur findet sich im Werk von Johannes Brahms, z.B. im zweiten Satz der Fest- und Gedenksprüchen Op. 109:

Abbildung Abbildung

Quelle: YouTube.

An dieser Stelle verwendet Brahms die Imitationen (bzw. die Kanonstruktur) zur Symbolisierung der Textworte »und ein Haus fället über das andere« (die Kanonstruktur ist beim Berühren der Abbildung rot gekennzeichnet). Die folgende Notenabbildung veranschaulicht die Struktur des Kanons (links) sowie das Modell in einer gebräuchlichen dreistimmigen Ausführung (rechts):

Abbildung Melodiestruktur 1

Am Ende des vierstimmigen Magnificats SWV 426 von Heinrich Schütz findet sich eine kanonische Amen-Gestaltung, die melodisch dem Terzfall-Terzfall-Quartstieg-Modell zu entsprechen scheint. Bei genauerer Analyse der rhythmischen Gestaltung zeigt sich jedoch, das sich die Polyphonie des Amen-Abschnitt angemessener durch das Terzfall-Sekundstieg-Modell verstehen lässt (die Gerüsttöne dieses Modells werden beim Berühren der Abbildung grün markiert):

Abbildung Abbildung

Quelle: YouTube.

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