Signalakkorde der Kadenz
In diesem Tutorial werden Akkorde wie der Neapolitaner, der verminderte Septakkord (als Doppeldominante), der übermäßige Sextakkord und andere Akkorde in ihrer Funktion beschrieben, eine Kadenz anzukündigen. Aufgrund dieser Funktion werden die Akkorde hier als Signalakkorde (Kaiser 1998) bezeichnet. Durch ein Verständnis dieser Gemeinsamkeit verlieren diese Akkorde zum einen ihren Schrecken (und lassen sich schnell bestimmen), zum anderen sind sie eine große Hilfen zur Orientierung in größeren Kompositionen tonaler Musik.
- Das Kadenzmodell
- Der Subdominant-Sextakkord
- Der Neapolitaner
- Die Doppeldominante
- Der Vorhalts-Quartsextakkord (der Dominante)
- Der DDv (verminderte Septakkord der Doppeldominante)
- Der übermäßige Quintsextakkord
- Weitere Akkorde mit übermäßiger Sexte
- Beispiele für Signalakkorde
Das Kadenzmodell
Die Signalakkorde lassen sich am leichtesten über das folgende Kadenzmodell verstehen (mehr über die Kadenz als Schlusswendung erfahren Sie im Tutorial Die Kadenz (als Schlusswendung)):
In der Oberstimme ist die sogenannte Sopranklausel zu sehen, im Tenor die sogenannte Tenorklausel, die zusammen ein 6-7-6-8-Gerüst bilden (diese beiden Stimmen können Sie sich wie das Skelett der Kadenz vorstellen, das allen Akkorden und Akkordvarianten darin bietet). Aus Sicht der Funktionstheorie entsteht auf der Takteins ein sogenannter Sixte ajoutée (der historisch gesehen allerdings keiner ist. Warum? Das erfahren Sie hier). Aus Sicht der Stufentheorie könnte man den Akkord auf der Takteins hingegen als Septakkord der II. Stufe interpretieren (kleiner d-Moll-Septakkord), der sich über einen II-V-I-Quintfall (d-Moll-7 -> G-Dur -> C-Dur) auflöst (mehr über Septakkorde erfahren Sie hier). Der Akkord d-f-a-c − oder besser: die Station − im zeitlichen Ablauf der Kadenz wird im Folgenden als Signalakkord der Kadenz bezeichnet. Denn die Klänge an dieser Stelle sind aufgrund ihrer Lage so charakteristisch, dass man den Vollzug der Kadenz gut voraushören kann, auch wenn er gar nicht mehr erklingt (probieren Sie es aus und spielen Sie einmal nur die ersten beiden Akkorde des Kadenzmodells).
Der Subdominant-Sextakkord
Eine in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beliebte Variante ist ein Akkord, den die Funktionstheorie als Subdominante mit Sexte chiffrieren würde, wobei es für Verständnis der chromatischen Akkorde (und auch historisch) hilfreicher ist es, diesen Akkord als Sextakkord der zweiten Stufe zu interpretieren:
Der Neapolitaner
Wenn man nun zwei Töne dieses Sextakkords der zweiten Stufe alteriert, erhält man den Sextakkord der tiefalterierten zweiten Stufe,den sogenannten Neapolitaner:
Weitere und historisch differenziertere Informationen erhalten Sie in dem Tutorial Der Neapolitaner.
Die Doppeldominante
Alteriert man in dem Septakkord der zweiten Stufe nicht die Töne a und d, sondern den Ton f, so erhält man den Quintsextakkord des kleinen Dur-Septakkords der zweiten Stufe. Als Signalakkord, für den Sie bisher nur subdominantische Klänge kennengelernt haben, erklingt nun also ein Akkord, den die Funktionstheorie als Doppeldominante interpretiert:
Der Vorhalts-Quartsextakkord (der Dominante)
Das folgende Beispiel zeigt den Vorhalts-Quartsextakkord als Signalakkord auf schwerer Taktzeit (historisch gesehen die Überterzung der Sopranklausel):
Der DDv (verminderte Septakkord der Doppeldominante)
Im nächsten Beispiel sehen Sie als Signalakkord die Töne des Vorhalts-Quartsextakkords (c und e), wobei das e zu es tiefalteriert worden ist, kombiniert mit den Tönen fis und a der Doppeldominante. Es entsteht der sogenannt DDV, also der verminderte Septakkord (drei kleine Terzen) übr dem Leitton zur Dominante. Auch dieser Klang wird in der Funktionstheorie als Doppeldominante interpretiert:
Weitere und historisch differenziertere Informationen erhalten Sie in dem Tutorial Der verminderte Septklang bzw. Septakkord.
Der übermäßige Quintsextakkord
Um den übermäßigen Quintsextakkord zu erhalten, muss man nur noch das a zu as tiefalterieren. Dieser Akkord erklingt allerdings üblicher Weise in einer Lage, in der im Bass das as zu hören ist, während die übermäßige Sexte in einer höheren Stimme erklingt:
Weitere Informationen erhalten Sie in dem Tutorial Der übermäßige Quintsextakkord
Weitere Akkorde mit übermäßiger Sexte
Eine Variante des übermäßigen Quintsextakkordes ist der übermäßige Terzquartakkord, bei dem zwischen dem Rahmenintervall der übermäßigen Sexte anstelle der Quinte (es) eine übermäßige Quarte (d) zum Bass (as) erklingt (Beispiel a).
Eine Notationsvariante des übermäßigen Quintsextakkords ist der doppelt-übermäßige Terzquartakkord (Beispiel b in der Abbildung oben). Er unterscheidet sich klanglich nicht vom übermäßigen Quintsextakkord, allerdings wird die Quinte als doppelt-übermäßige Quarte notiert. Der Grund dürfte in den Bemühungen liegen, zur Auflösung in den Dur-Quartsextakkord eine ›korrekte‹, das heißt, der Auflösungsbewegung angemessene Notation zu finden. Der doppelt-übermäßige Terzquartakkord charakterisiert den Anfang des Liedes »Am leuchtenden Sommermorgen« aus der Dichterliebe Op. 48 von Robert Schumann (beim Berühren der Abbildung werden die Leittonbeziehungen des doppelt übermäßigen Terzquartakkordes und Dominant-Quartsextakkordes farbig hervorgehoben):
Quelle: YouTube.
Studieren Sie die möglichen Signalakkorde einer Kadenz:
Beispiele für Signalakkorde
Der Quintsext- bzw. Sextakkord als Signalakkord der Kadenz
Das folgende Beispiel zeigt die große Kadenz (»Arientriller«-Kadenz) in der Nebentonart am Ende der Exposition der Klaviersonate in C-Dur von W. A. Mozart. Wenn Sie die Abbildung berühren, sind der Quintsext- und Sextakkord (Signalakkorde) der Kadenz rot, die Dominante blau und die Tonika grün eingefärbt. Achten Sie darauf, wie lange der Klang des Quintsext- bzw. Sextakkords der G-Dur-Kadenz (c-e-(g)-a) das Geschehen bestimmt und wie dann der Kadenzvollzug (Dominante - Tonika) die Spannung auf- bzw. die Erwartungshaltung einlöst.
Copyright Info: Wolfgang Amadé Mozart, Sonate in C-Dur KV 279, 1. Satz, T. 23−33, aus: Mozart, Les Sonates pour le Forte-Piano sur instrument d'epoque. Paul Badura-Skoda, forte-piano Johann Schantz, Vienne ca. 1790. 5 CD, Auvidis-Astrée E 8682.
Der Neapolitaner als Signalakkord der Kadenz
Im langsamen Satz aus dem Klavierkonzert in A-Dur KV 488 Beispiel kündigt ein Neapolitaner die Kadenz am Ende des Themas und den Einsatz des Orchesters an. Beim Berühren dieser Abbildung sind der Neapolitaner (Signalakkord) rot, die Dominante blau und die Tonika wieder grün eingefärbt. Achten Sie auf die chromatische Klangfarbe (G-Dur) des Neapolitaner und auf die Spannung der verminderten Terz g-eis:
Copyright Info: Wolfgang Amadé Mozart, Klavierkonzert in A-Dur KV 488, 2. Satz, Anfang, aus: L'Art De Clara Haskil. Mozart-Beethoven-Schubert-Schumann-Chopin-Scarlatti-Ravel-De Falla, Philips 420525-1, Aufnahme: 1955, CC0 Public Domain, Quelle: cc0.musik-openbooks.de/.
Weitere Beispiele zum Neapolitaner finden Sie hier.
Der verminderte Septakkord der Doppeldominante als Signalakkord der Kadenz
Am Ende des ersten Satzes der Klaviersonate in f-Moll Op. 57 von Ludwig v. Beethoven (»Appassionata«) erklingt zuerst ein Moll-Sextakkord (Phrygische Wendung) als Ankündigung der Dominante (hellrot), die dann zu einem verminderten Septakkord der Doppeldominante verschärft wird (Signalakkord rot). Ihm flgt eine virtuose Inszenierung der Dominante (blau), die sich nach einem großen Spannungsaufbau in die Tonika f-Moll entlädt (grün). Beim Berühren der Abbildung sind die Farben zu sehen:
Copyright Info: Ludwig v. Beethoven, Sonate in f-Moll Op. 57, 1. Satz, T. 225−239, aus: Beethoven. The Piano Sonatas, Vladimir Ashkenazy, Decca London 443 713-2, Track 6 (Set 443 706-2).
Weitere Beispiele zum verminderten Septakkord finden Sie Der verminderte Septklang bzw. Septakkord.
Der übermäßige Quintsextakkord als Signalakkord der Kadenz
Eine berühmte Stelle für den Einsatz des übermäßigen Quintsextakkords zur Ankündigung eines wichtige Themas erklingt im langsamen Satz der Sinfonie in c-Moll Op. 67 von Ludwig v. Beethoven. Nach einer Passage in As-Dur ist zuerst ein verminderter Septakkord in der Funktion einer Doppeldominante zu hören, der für sich genommen schon die Funktion eines Signalakkordes haben kann (hellrot). Ihm folgt als klangliche Verschärfung der übermäßige Quintsextakkord im Fortissimo (Signalakkord rot), die Dominante (blau) und die Tonika C-Dur (grün), dem sich das berühmte C-Dur-Thema anschließt:
Copyright Info: Ludwig v. Beethoven, Sinfonie in c-Moll Op. 67, 2. Satz, T. 23−36, aus: Ludwig v. Beethoven, 9 Symphonien, Berliner Philharmoniker, Dirigent: Herbert v. Karajan, Aufnahme: 1962, CC0 Public Domain, Quelle: cc0.musik-openbooks.de/.
Weitere Beispiele zum übermäßigen Quintsextakkord finden Sie hier.
Literatur
- Ulrich Kaiser, Gehörbildung. Satzlehre, Improvisation, Höranalyse. Ein Lehrgang mit historischen Beispielen, Aufbaukurs, mit einem Formkapitel von Hartmut Fladt, Bärenreiter Studienbücher Musik Bd. 11 (= BSM 11), hrsg. von Silke Leopold und Jutta Schmoll-Barthel, mit Audio-CD, Kassel 1998, S. 377−378.
Erstellung des Beitrags: 5. Dezember 2017
Letzte Änderung des Beitrags am 6. Dezember 2017