Dieses Tutorial wird nicht mehr gewartet und ist unter dem Titel Satzmodelle (Einführung und Überblick) auf der Open Music Academy für die gemeinsame Arbeit freigegeben worden.

Satzmodelle (Sequenzen)

von Ulrich Kaiser

Als ›Satzmodelle‹ werden ›Satztypen und -formeln des 15. und 16. Jahrhunderts‹ bezeichnet, auf die der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus in seiner Habilitationsschrift hingewiesen hat. Aufgrund der didaktischen Möglichkeiten (Satzmodelle eignen sich zur Analyse, Stilübung, Gehörbildung und Höranalyse gleichermaßen) sind diese Formeln heute im Musiktheorie- und Gehörbildungsunterricht an vielen Musikhochschulen eine Selbstverständlichkeit. Dieses Tutorial gibt eine Übersicht über die gebräuchlichsten Satzmodelle. Die Gestaltung eines Formverlaufs mithilfe von Satzmodellen können Sie in dieser Satzmodell-Impro üben.

Inhalt:

  1. Die Kadenz
  2. Die Quintfallsequenz
  3. Der Parallelismus
  4. Modulationen
  5. Literatur

Kadenzen

Als Finalkadenz wird ein Ganzschluss mit vollkommener (und gelegentlich auch unvollkommener) Schlusswendung bezeichnet:

Finalkadenz Grundmodell

Über das Thema Kadenzen können Sie mehr erfahren in dem Tutorial: Die Kadenz.
Üben Sie, die Finalkadenz auf verschiedene Arten zu sequenzieren. Achten Sie dabei auf die Wahl der richtigen Vorzeichen, die sich immer nach der Tonart richten, in der die Finalkadenz endet. Die Finalkadenz terzweise abwärts sequenziert klingt zum Beispiel wie folgt:

Finalkadenz Grundmodell

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Oder terzweise aufwärts:

Finalkadenz Grundmodell

Satzmodelle, die terzweise fallen oder steigen, lassen sich in der Regel als Parallelismus verstehen.

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Oder sekundweise abwärts:

Finalkadenz Grundmodell

Satzmodelle, die sekundweise fallen, lassen sich in der Regel als Quintfallsequenz verstehen.

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Oder auch sekundweise aufwärts:

Finalkadenz Grundmodell

Satzmodelle, die sekundweise steigen, lassen sich in der Regel als 5-6-Konsekutive verstehen.

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Und die folgenden Finalkadenz wird in der alten Musik auch als ›cadenza doppia‹ bezeichnet. Achten Sie darauf, dass in allen Finalkadenzen die Oberstimmen vertauscht werden können:

Finalkadenz Grundmodell

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Mit der folgenden Kadenz hingegen beginnen viele Stücke im 17. und 18. Jahrhundert, weshalb diese Wendung gelegentlich auch als ›Initialkadenz‹ oder ›Exordialkadenz‹ bezeichnet wird. In der Abbildung ist wieder eine Vertauschung der Oberstimmen zu sehen, während die Synkopenstimme, die in den vorangegangenen Beispielen in der Mittelstimme (Alt) zu hören war, in diesem Satzmodell im Bass erklingt:

Finalkadenz Grundmodell

Wenn Sie über dieses Modell mehr erfahren möchten, lesen Sie bitte das folgende Tutorial: Das I-x-V-I-Schema.

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Im folgenden sind zwei öffnende Kadenzen bzw. Halbschlüsse zu sehen:

Finalkadenz Grundmodell

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Die zweite Halbschlusswendung, die sogenannte ›phrygische Wendung‹, lässt sich sogar sequenzieren, wodurch im Bass ein ›passus duriusculus‹ (Christoph Bernhard) bzw. chromatischer Gang entsteht:

Finalkadenz Grundmodell

Über die phrygische Wendung und den chromatischen Gang im Bass können Sie mehr in den folgenden Tutorials erfahren: Die phrygische Wendung (Fragetopos) und Der Lamentobass.

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Die Quintfallsequenz

Das vieleicht bekannteste Harmoniemodell der Musik des 17., 18. und auch noch des 19. Jahrhunderts sowie der Pop-Rock-Musik dürfte die Quintfallsequenz sein. Das nachfolgende Notenbeispiel zeigt diese Sequenz bzw. den sekundweise abwärts sequenzierten Quintfall (Quintfallsequenz mit Grundakkorden):

Quintfall Grundmodell Quintfall Grundmodell

Beim Üben dieses Modells müssen sie eigentlich nur auf drei Dinge achten:

  1. Der Bass spielt die Grundtöne der Quintfallsequenz (d.h. nur Quintfälle bzw. Quartstiege)
  2. Eine Terz zum Grundton wird zur Septime übergebunden.
  3. Eine Septime löst sich stufenweise abwärts auf zur Terz.

Wenn Sie mehr über die grundstellige Quintfallsequenz und zu ihren musikalische Ausarbeitungen erfahren möchten, lesen Sie bitte das Tutorial: Die Quintfallsequenz in der Zweistimmigkeit.

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Eine Quintfallsequenz entsteht auch durch eine 7-6-Synkopenbewegung mit einer Zick-Zack-Zusatzstimme. In diesem Modell lassen sich sogar alle drei Stimmen vertauschen (dreifacher Kontrapunkt der Oktave). Exemplarische Ausarbeitungen dieses Modells sehen sie in den folgenden Notenbeispielen:

Quintfall Grundmodell Quintfall Grundmodell Quintfall Grundmodell

Wenn Sie mehr über die Quintfallsequenz in der Ausarbeitung eines mehrfachen Kontrapunkts erfahren möchten, lesen Sie hierzu bitte das Tutorial: Die Quintfallsequenz mit Synkopenkette.

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Ein einzelner Quintfall kann auch aufwärts sequenziert werden. Diese Sequenz hat sich historisch aus der 5-6-Seitenbewegung (bzw. der 5-6-Konsekutive) entwickelt. In den folgenden Notenbeispielen sehen Sie das diatonische Modell und das Modell mit chromatisierter Bassstimme. Aus moderner Sicht entstehen durch die Chromatisierung Zwischendominanten mit Auflösung bzw. ein Quintfall, der anschließend sekundweise aufwärts sequenziert wird. Die beiden nachstehenden Beispiele enden mit einer Finalkadenz:

Quintfall Grundmodell Quintfall Grundmodell

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Die 7-6- und die 5-6-Synkope können in einer Sequenz sekundweise aufwärts auch kombiniert werden. In künstlerischen Ausarbeitungen in englischen Madrigalen oder bei Johann Sebastian Bach zeichnet diese Sequenz eine ganz besondere Klanglichkeit aus. Grundlage der Sequenz sind 7-6-Synkopen aufwärts über stufenweise ansteigendem Bass, wobei die Vorbereitung der Septimen eine außergewöhnlich Satztechnik erfordert (Stimmtausch):

Quintfall Grundmodell

Das nächste vierstimmige Beispiel zeigt zwischen Tenor und Bass, wie dieses Modell mit der 5-6-Synkope zusammenhängt:

Quintfall Grundmodell

Werden nun noch beide Synkopenstimmen überterzt, entstehen auf jeder Takteins bzw. über jedem Basstons der aufwärts führenden Skala kontrapunktisch herbeigeführte Sept-Nonen-Klänge:

Quintfall Grundmodell

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Der Parallelismus

Das Grundmodell des Parallelismus dürfte vielen durch den berühmten Kanon von Pachelbel kennen. Das folgende Notenbeispiel zeigt den dreistimmigen Gerüstsatz des Modells:

Quintfall Grundmodell

Durch eine Synkope in den Oberstimmen entstehen aus harmonischer Perspektive Quart- und Nonendissonanzen, wobei die oberen Stimmen wieder oktavvertauscht werden können:

Quintfall Grundmodell Quintfall Grundmodell

Einen typischen Klang des 18. Jahrhunderts erhält das Modell, wenn die Bassstimme diminuiert und chromatisiert wird:

Quintfall Grundmodell Quintfall Grundmodell

Ohne Synkopen kann der Parallelismus auch aufwärts erklingen. In der Systematik steigender und fallender Quinten wäre dieses Satzmodell als terzweise aufwärts sequenzierter Quintfall zu bezeichnen:

Quintfall Grundmodell

Mehr zum Parallelismus können Sie in dem folgenden Tutorial erfahren: Der Parallelismus (Pachelbel-Modell).

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Modulationen

Von den verschiedenen Modulationsarten sind an dieser Stelle zwei von besonderer Bedeutung: die Modulation in die Oberquinte und die Modulation in die Unterquinte. Die Modulation in die Oberquinte kommt nahezu in jedem größeren tonalen Musikstück vor, die Modulation in die Unterquinte ist weniger häufig, aber klanglich sehr ausdrucksvoll.

Die folgenden Abbildungen zeigen das Qberquint-Modulationsmodell, wobei auch in diesem Modell die Oberstimmen vertauscht werden können:

Quintfall Grundmodell

Mehr zur Oberquintmodulation können Sie in dem entsprechenden Tutorial erfahren: Die Oberquintmodulation.

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Im dem folgenden Beispiel ist die Unterquintmodulation zu sehen, die − wie der Name schon sagt − von einer Ausgangstonart in die Tonart der Unterquinte führt:

Quintfall Grundmodell

Mehr zur Unterquintmodulation können Sie in dem Tutorial Motivo di Cadenza (Unterquintmodulation) erfahren.

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Materialien und Literatur

  • Ulrich Kaiser, Arbeitsheft zum Thema Satzmodelle.
  • Carl Dahlhaus, Untersuchungen über die Entstehung der harmonischen Tonalität, Kassel 1967.
  • Ulrich Kaiser, Gehörbildung. Satzlehre, Improvisation, Höranalyse. Ein Lehrgang mit historischen Beispielen, Grundkurs, Bärenreiter Studienbücher Musik Bd. 10 (= BSM 10), mit Audio-CD, Kassel 1998, S. 131−209.
  • Ulrich Kaiser, Gehörbildung. Satzlehre, Improvisation, Höranalyse. Ein Lehrgang mit historischen Beispielen, Aufbaukurs, mit einem Formkapitel von Hartmut Fladt, Bärenreiter Studienbücher Musik Bd. 11 (= BSM 11), mit Audio-CD, Kassel 1998, S. 281−405.