Was ist eine Modulation?

von Ulrich Kaiser

  1. Definitionen
  2. Fulgentino Peroti
  3. Ein Experiment
  4. Modulation als Prozess oder punktueller Wechsel der Oktave
  5. Weiterführende Überlegungen
  6. Literatur

1. Definitionen

Zum Begriff Modulation finden sich im Sachteil des Riemann Musiklexikons (= RiemannL) und der Musik in Geschichte und Gegenwart (= MGG2) die folgenden Einträge:

In der durmoll-tonalen Musik bezeichnet M. den Übergang aus einer Tonart in eine andere bzw. das Übergehen der Bedeutung des Hauptklanges (Tonika) auf einen anderen Klang (Riemann). Jede M. setzt voraus, daß zunächst eine Ausgangstonart durch ihre wesentlichsten Akkorde eindeutig dargestellt ist.

RiemannL 1967, S. 581.

Traditionell ist die Modulation ein Bestandteil (oder eine Fortsetzung) der Harmonielehre. Sie versteht sich als die Lehre vom Übergang einer Tonart in eine andere.

Rummenhöller 1996, Sp. 147.

Diesen Definitionen können wir entnehmen, dass der Begriff Modulation auf durmoll-tonale Musik zielt und in dieser Musik den Übergang von einer Tonart in eine andere bezeichnet. Angenommen also, wir haben ein Stück, dessen erster Hauptabschnitt in der Tonart der I. Stufe steht und am Doppelstrich mit einer Kadenz in der Tonart der V. Stufe endet (das dürfte in den meisten Dur-Kompositionen des 18. Jahrhunderts wie z.B. Suitensätze, Sonaten usw. der Fall sein), dann hätten wir in diesem Stück eine Modulation von der I. zur V. Stufe. Für eine B-Dur Sonate hieße das, dass sie in B-Dur beginnen und nach F-Dur modulieren müsste.

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2. Fulgentino Peroti

Eine solches Stück hat beispielsweise Fulgentino Peroti komponiert. Im folgenden ist der dritte Satz seiner 1756 publizierten Sonata in B-Dur zu sehen. Die erste Phrase endet mit einer Kadenz in der Haupttonart B-Dur (= beim Berühren mit der Maus grün markiert), die letzte (vor dem Doppelstrich) mit einer Kadenz in F-Dur (= rot markiert). Der erste Hauptabschnitt dieser Sonate moduliert von B-Dur nach F-Dur, die orangenen Balken zeigen eine Gliederung des Verlaufs zwischen den Kadenzen:

modulation chromatisiert modulation chromatisiert

Wenn Sie mit der Maus oben über das Faksimile fahren, sehen Sie bei der zweiten gelben Markierung ein dominantisches C-Dur bzw. einen Halbschluss in der Nebentonart (mehr zu Kadenzdispositionen in Sonatenexpositionen erfahren Sie hier). Das wiederum heißt, dass wir an dieser Stelle bereits F-Dur als Tonika empfinden und die Modulation von B-Dur nach F-Dur vollzogen worden ist. Für die Modulationswirkung kann daher nur eine der beiden vorangegangenen Taktgruppen verantwortlich sein.
Die nächste Abbildung zeigt die ersten vier Taktgruppen der Exposition (grün, gelb, rot und blau). Beim Berühren der Abbildung mit der Maus werden die in B-Dur erklingenden Taktgruppen grün, die in der Nebentonart F-Dur erklingende Taktgruppe rot und die modulierende Taktgruppe dazwischen gelb markiert:

modulation chromatisiert modulation chromatisiert

Die zweite Taktgruppe mit dem Tonleiter-Motiv bestätigt also noch die Ausgangstonart B-Dur, weil Sie auf der Subdominante Es-Dur beginnt und wieder zur Tonika B-Dur zurückführt. Vergleichbare Verhältnisse für eine zweite Taktgruppe (und dazu noch eine identische Ausarbeitung der rechten Hand) finden wir bei W. A. Mozart im Kopfsatz der Sonate ›facile‹ KV 545. Sie steht in C-Dur, deswegen beginnt hier die zweite Taktgruppe auf der Subdominante F-Dur und führt wieder zurück in die Tonika C-Dur. Beim Berühren der Abbildung mit der Maus werden die in C-Dur erklingenden Taktgruppen grün markiert:

modulation chromatisiert modulation chromatisiert

Mozart dürfte die Peroti-Sonate sogar gekannt und in seiner Kindheit vielleicht gespielt haben (die Noten befanden sich in der Bibliothek seines Vaters). Ob er sich aber beim Komponieren der Facile-Sonate gut 30 Jahre später noch an Peroti-Sonate erinnert hat, dürfte zumindest fraglich sein.

3. Ein Experiment

Schauen wir uns in der Peroti-Sonate die zweite und dritte Taktgruppe genauer an, also jene Taktgruppen, mit der die Ausgangstonart bestätigt und die Modulation in die Tonart der Oberquinte vollzogen wird. Es fällt auf, dass in beiden Taktgruppen jeweils auf der Takteins Dezimenparallelen erklingen, die stufenweise abwärts führen. Wenn Sie die Abbildung berühren, werden die Dezimen farbig markiert:

modulation chromatisiert modulation chromatisiert

Im Folgenden sind die Gerüstsätze dieser beiden Abschnitte abgebildet:

modulation chromatisiert

Es ist erstaunlich, dass die beiden Gerüstsätze identisch sind, das heißt, der Gerüstsatz g/es bis b/d ist eine Transposition des Gerüstsatzes b/d bis f/a oder umgekehrt. Das Modell entspricht übrigens einem I-V-Abschnitt oder einem IV-I-Abschnitt der Regola del'ottava (mehr zur Oktavregel erfahren Sie hier).
Durch die Identität der Taktgruppen ist es für eine der beiden Taktgruppen aber auch möglich, die Funktion der jeweils anderen zu übernehmen, wenn sie nur entsprechend transponiert wird. Der Tonleiter-Abschnitt wird daher modulierend klingen, wenn wir ihn einem B-Dur-Kontext auf b beginnen lassen und der im Original modulierende Abschnitt wird tonart-bestätigend wirken, wenn wir ihn auf der Subdominante es anfangen lassen.
Hören Sie sich hierzu das folgende Experiment an und vergleichen Sie die Manipulation mit dem Original (die Noten des Originals können Sie noch einmal sehen, wenn Sie die Abbildung berühren). Die tonart-bestätigende Taktgruppe wurde jeweils grün, die modulierend wirkende Taktgruppe jeweils gelb markiert:

modulation chromatisiert modulation chromatisiert

Modulation als Prozess oder punktueller Wechsel der Oktave

Der Begriff Modulation hatte im 18. Jahrhundert noch eine andere Bedeutung als heute. Johann Mattheson spricht in Der vollkommene Capellmeister (1739) von vier ›neueren‹ Bedeutungen des Begriffs:

Das Wort Modulation hat, ausser der alten, bey den neuern nicht weniger, als vier Bedeutungen: 1.) Im Modo oder in der Tonart bleiben. 2.) Aus demselben heraus, und füglich wieder hineingehen. 3.) Eine Melodie figürlich, zierlich und nachdrücklich setzen. 4.) Ein ich weiß nicht was angenehmes und anständiges seinem Satze beilegen. Die alte Bedeutung gehet eigentlich nur auf die Art und Weise, oder die Manier, womit ein Sänger oder Instrumentalist die vorgeschriebene Melodie herausbringet.

Mattheson 1739, S. 293 f., Fn.

Matthesons Definition verwundert aus heutiger Sicht, da er nicht nur das Verlassen und wieder Erreichen einer Tonart, sondern auch das In-einer-Tonart-Bleiben als Modulation bezeichnet hat. Auch das Setzen einer Melodie sowie der seltsam anmutende 4. Punkt trifft unsere heutigen Vorstellung einer Modulation nicht.
Etwas verständlicher werden die beiden ersten Punkte der Definitionen Matthesons, wenn man bedenkt, dass im 18. Jahrhundert sowohl das In-der-Tonart-Bleiben als auch ein Wechsel der Tonart anhand der Oktavregel gelehrt und gelernt worden ist (mehr zur Oktavregel erfahren Sie hier). Der Sinn der Oktavregel war es zu wissen, welche Stufe der Tonleiter mit welcher Harmonie (oder maximal zwei Harmonien) harmonisiert werden muss. Konnte man die Oktavregel, war es beispielsweise nöglich, einen unbezifferten Bass in B-Dur mithilfe der Griffe der Oktavregel in B-Dur, einen Bass in F-Dur mithilfe der Griffe der Oktavregel in F-Dur usw. harmonisieren zu können. Johann David Heinichen schreibt zum Wechsel der Oktave in seiner großen Generalbaß- und Kompositionsanleitung:

Dieses Exempel gehet aus dem B dur. So lange nun der Ambitus Modi in diesem Tone bleibet, so lange seynd die Signaturen des obigen Schematis B-Dur zu appliciren [...]
Die Note [...] in der oberen Stimme zeiget ein neues Semitonium, welches den Modum allhier in das D moll verändert. Folgbar applicieren wir die Signaturen des Schematis D moll [...]

Heinichen 1728, S. 756 f.

Heinichens Sprache wirkt heute etwas fremd, deshalb folgt eine ›Übersetzung‹ des Gemeinten in heutiges Deutsch:

Das Notenbeispiel zeigt eine Komposition in B-Dur. So lange nun die Tonart B-Dur nicht verlassen wird, so lange müssen die Akkorde der Oktavregel in B-Dur gespielt werden [...]
Die Note [...] in der Melodie zeigt einen neuen Leitton [cis], der eine Modulation nach d-Moll anzeigt. Aus diesem Grund müssen wir die Akkorde der Oktavregel in d-Moll spielen [...]

Generalbassspieler des 18. Jahrhunderts konnten Bassstimmen in einer Tonart mithilfe der Oktavregel harmonisieren. Und an dem Punkt, an dem für sie eine Modulation erkennbar war, wurde die ›Oktave einfach gewechselt‹ bzw. wurden die Akkorde der Oktavregel einer anderen Tonart gespielt. Der Wechsel der Tonart war somit ein plötzliches Umschalten bzw. ein punktuelles Ereignis für den Generalbassspieler.
Hört man einem Generalbassspiel zu, kann man jedoch nicht sehen oder wissen, wann genau er den Oktavwechsel ›denkt‹. Es ist daher normal, dass man erst mit einer kleinen Zeitverzögerung bemerkt, dass ein Oktavwechsel stattgefunden haben muss. Verglichen mit dem gedachten, punktuellen Wechsel der Okatve wirkt die Zeitspanne, die vergeht, bis man den Oktavwechsel über das Hören erkannt hat, wie ein prozesshafter Übergang von einer Tonart in eine andere. Der Oktavwechsel war also ein Begriff für Komponisten und Musikausübende, der heutige Modulationsbegriff lässt sich dagegen als Kategorie der Rezeption verstehen, also als ein Begriff, der das zuhörende Erleben beschreibt.

Weiterführende Überlegungen

Dem Zitat Heinichens lässt sich entnehmen, dass ein neuer Leitton (»neues Semitonium«) ein gutes Indiz für einen Tonartwechsel ist. Die strukturelle Basslinie der Takte 11–15 im Sonatensatz von Peroti lautet b-a-g-f (grüne Bassnoten) und weist zwei neue Leittöne (fis und e) auf:

modulation

In den Takten 11 und 12 – also über den strukturellen Basstönen b und a sind die Leittöne jedoch nur Verzierungen (bzw. sogenannte Wechselnoten), mit denen die Töne g und f umspielt werden. In T. 13 jedoch ist das e eine zur Harmonie gehörige Note (e-g-b bzw. ein C-Dur-Dominantseptakkord), so dass hier – über dem Basston g – der Oktavwechsel stattfinden könnte.
In dem Menuett Nr. 21 des Nannerl-Notenbuchs der Familie Mozart findet sich eine Modulation von B-Dur nach F-Dur über einen strukturell vergleichbaren Bass (b-a-e-f grüne Noten). Er unterscheidet sich strukturell nur an einer Stelle und hätte durchaus genauso wie im Peroti-Sonatensatz (b-a-g-f, sichtbar beim Berühren der Noten) gestaltet werden können. Entscheidend ist, dass hier der Wechsel der Oktave bereits über dem b im Bass stattfindet, denn das e in der Melodie weist das b als Septime eines C-Dur-Dominantseptakkordes aus.

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Die mit dem Dominantseptakkord beginnende Harmonisierungsvariante macht deutlich, dass der Oktavwechsel über einer strulturell abwärtsführenden Bassbewegung (b-a-e-f oder b-a-g-f) immer über dem ersten Basston möglich ist, da er sich als Subdominante oder Dominante der Tonart denken lässt. In dem Peroti-Sonatensatz können sich daher die identischen Gerüstsätze auch auf die gleiche Weise interpretiert werden: Der erste Gerüstsatz führt von der Sudominante Es-Dur über den strukturellen Bass es-d-c-b in die Ausgangstonart B-Dur, der zweite Gerüstsatz führt nach einem Wechsel der Oktave von der Sudominante B-Dur über den strukturellen Bass b-a-g-f in die Nebentonart F-Dur:

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Auf der Basis dieser Überlegungen lässt sich der Formteil Überleitung in Sonatensätzen sehr gut untersuchen.

Literatur

  • Johann David Heinichen, Der Generalbaß in der Komposition, Hamburg 1739, Faks.-Ausg. Kassel 21994.
  • Ulrich Kaiser, Die Notenbücher der Mozarts als Grundlage der Analyse von W. A. Mozarts Kompositionen 1761-1767, Kassel 2007, Online-Fassung Karlsfeld 22013 mozartforschung.de, PDF-Dateien zum Donwload finden Sie hier.
  • Johann Mattheson, Der vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739, Faks.-Ausg. Kassel 1954.